Erschienen in: Kulturzeitschrift ARUNDA 54, Bozen, 2001: „Natur bin ich, erinnere daher oft an Kunst. Körper, Sexualität und Erotik, Versuch einer Dekonstruktion.“
Reinhold Messner, Superstar
Er sei einer, der „der Welt gezeigt hat, daß das Abenteuer keine Erfindung Hollywoods ist“, so der Ex-James Bond Roger Moore. Denn Reinhold Messner hebt sich wie kaum ein anderer durch sein Tun buchstäblich heraus aus der Massengesellschaft. Die schwierigsten Klettereien in den 70ern, die 14 höchsten Berge in den 80ern, und am Zenit seiner bergsteigerischen Karriere Alleingänge auf den Nanga Parbat (1978) und den Mount Everest (1980). Höher, weiter, einsamer geht es nicht. Aber Messner „macht“ nicht nur, er besteht nicht allein aus gestähltem männlichem Körper und komprimierter Leistungsfähigkeit, seine Gedanken nehmen in seinen über 36 veröffentlichten Büchern breiten Raum ein.
„Ich habe die Abenteueridee um 180 Grad gedreht. Ich will nicht mehr die Landschaft, sondern mich selbst erforschen.“
War früher der Berg die große Unbekannte, so ist dies heute der Mensch, der Mensch mit seinen Ängsten, Träumen und verschiedenen Bewusstseinsstufen. Er sei , so die deutsche Zeitschrift „Der Spiegel“ (1987), ein „Handke des Bergsteigens“ über welchen der wirkliche Handke sagt: „Da liefert einer den Beweis: Das Innere oder Innerliche ist umso wirklicher, als ich es mir immer erst erobern muss.“
Messner ist kein einfacher Bergsteiger, er ist ein intellektueller Vorreiter, welcher in den reaktionären und klischeebefrachteten alpinistischen Diskurs eine reflexiv-innovative und kritisch-philosophische Komponente einbrachte. Den Akteur Messner beseelt nicht mehr der heroische Sieg über den Berg, vielmehr stellt sich ihm die Frage nach dem Sinn des Tuns und auf der Suche nach diesem Sinn kehrt er die Relevanz von Innen und Außen um: „Ich gehe ganz hoch hinauf, damit ich ganz tief in mich hineinsehen kann.“
Für eine feministische Beschäftigung ist der Südtiroler Alpinist darüberhinaus interessant, weil er aufgrund seines Tuns mit Männlichkeit identifiziert wird. Sophia Loren, schlechthin Vertreterin von Weiblichkeit, meint bezüglich dessen, was Männlichkeit für sie ausmacht: „Von schönen Männern halte ich wenig. Sie sollten einfach männlich sein, aber ich kann nicht einmal sagen, was das ist. Ich kann es an praktische Dinge knüpfen, etwa, was Cousteau, der Meeresforscher macht, oder dieser Italiener, der Messner…“
Alpinistische Geschichte(n)
Der Alpinismus ist traditionellerweise ein „männlicher“ Sport, ein Sport der von Männern dominiert ist und der männlichen Selbstherstellung dient. Frauen sind noch heute in den „extremen“ Bereichen Ausnahmeerscheinungen. Dennoch ist nicht zu bezweifeln, daß die Situation der Frauen seit den Anfängen alpiner Geschichte im ausgehenden 18. Jahrhundert Veränderungen erfuhr. Eine Illustration der Zunahme an weiblicher Bewegungsfreiheit in den letzten rund 150 Jahren bieten folgende pointierten Beispiele aus der Geschichte eines lange Zeit verschwiegenen Frauenalpinismus.
Felicite Carrel wollte 1876 mit ihrem Vater das Matterhorn besteigen, scheiterte jedoch daran, da ihre Krinoline, d.i. ein weiter Reifenrock, sich ständig am Fels verfing und drohte sie hinabzureißen. Diese Geschichte zeigt, wie Bilder vom Geschlecht Wirklichkeiten produzieren. Davon zeugen auch die Korsette, durch deren Schnürung das Lungenvolumen von Frauen um etwa ein Drittel verringert wurde, was in Folge zu jenen Ohnmachtsanfällen führte, welche ein vorgefertigtes Bild vom „schwachen Geschlecht“ wiederum bestätigten.
Gelangen Frauen trotz der widrigen Zeitumstände alpinistische Höchstleistungen, unterließen es männliche Chronisten diese niederzuschreiben, oder es wurde ihnen der Zugang den elitären alpinistischen Zirkeln verweiget, wie im Fall der Magret Clauda Brevoort. Diese bestieg 1874 die Jungfrau im Winter, eine Spitzentat im Alpinismus der damaligen Zeit, der Zutritt zum renommierten British Alpine Club wurde ihr als Frau dennoch verwehrt. Quasi als Ersatz nahm mann die Hündin Tschingel, ihre Begleiterin am Berg, als Ehrenmitglied auf.
In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts „wiesen“ die Nazis im Sinne eines ultrarechten Frauenbildes quasi wissenschaftlich „nach“, dass sportliche Betätigung, insbesondere „männliche“ Sportarten wie das Bergsteigen, die Erbanlagen der Frau angreift. Daraufhin wurden die bergsüchtigen Frauen im Hinblick auf die Volksgesundheit vor der „Krankheit der Vermännlichung“ und dem Eindringen in alpinistische Kreise geschützt.
Der Alpinismus wird von den Nazis dazu benützt, um die Überlegenheit der deutschen Rasse auf den höchsten Bergen der Welt darzustellen. Willensstark, hart und mutig sind die Hauptattribute des „heldischen“ Alpinismus der Kriegszeit, in welcher die Gefühle der Angst und Schwäche mit einem Tabu belegt werden. Reinhold Messner kritisiert als einer der ersten noch in der Nachkrieszeit dominierende Ideal des von der Siegen- und-Sterben Mentalität der Nazis geprägten heldischen Bergsteigers. Darüberhinaus stellt er den Männlichkeitswahn im Alpinismus im allgemeinen in Frage.
„Wann werden die Menschen[Männer] es endlich aufgeben können, die Natur zu erobern, zu unterwerfen, zu bezwingen […], zu vergewaltigen – und damit zu zerstören! Wenn ich an die vielen “Gipfelsiege” der letzten Jahre denken, könnte mir übel werden. Sieg worüber oder über wen? Sieg für wen? Und die dazugehörigen Buchtitel: “Kampf und Sieg am Nanga Parbat”, “Sieg am Everest”, “Der einsame Sieg”. Also doch Bergsteigen als Ersatz für den Krieg? Bergsteigen als Männerspiel? Dass viele Bergsteiger in ihrem ungebrochenen Männlichkeitswahn glauben, der Grenzbereich der Achttausender und derSenkrechten gehöre nur ihnen, ist in unserem Jahrhundert zwar verwunderlich, aber eine Tatsache. Dabei ist die Frau so lange unterdrückt worden, daß sie gar nicht auf die Idee gekommen ist, sie könnte genauso gut, wenn nicht besser bergsteigen als der Mann. Für uns Männer gelte es vor allem, die anima-Seite in uns zu entwickeln und nicht den Übermenschen zu spielen.“
Als ein „Kind seiner Zeit“ stellt er den überalterten Bildern einer heroischen Männlichkeit, eine dem Psycho-Trend und der Esoterik-Welle der ausgehenden 70er Jahre entsprechende, für Emotionen durchlässige Männlichkeit gegenüber. In der Darstellung seiner inneren Zerissenheit wird er zum Protopypen des „modernen“ Bergsteigers. „Ich bin nicht nur Alleingänger, ich bin eine Art Sisyphus, der niemals wirklich zum Gipfel kommt. Ich bin Sisyphus und der Stein, den ich auf den Berg rolle, ist meine eigene Psyche.“
Die Grablegung der kriegerisch-männlichen Eigenschaften verbindet Messner mit der Thematisierung von Ängsten, Schwächen und „Niederlagen“ – sei es am Berg oder in Beziehungen.
„Innerhalb von Augenblicken drückt mich die Furcht zu einem zitternden, kraftlosen Bündel zusammen. Ich will mich in der Wand verkriechen, weinen, nur nicht hinabsehen müssen.“
„Ich habe viel mehr anima Seiten als männliche Seiten. Und ich bin eher ein zerbrechlicher Mensch.“
Vom bewegten Bergsteiger zur Reinstallation ganzer Männlichkeit
Doch diese Infragestellung einer heroischen Männlichen durch Messner führt erstaunlicherweise keineswegs zur Erschöpfung des Ideals von „wirklicher“ Männlichkeit. In der Figur Messner taucht ein trendiger Männlichkeitsmythos erneut auf, nicht zuletzt deshalb, weil seine Erfolge dem Prinzip der Leistungssteigerung, als einem Grundprinzip der modernen Gesellschaft trotz seiner propagierten Widerständigkeit gegen diese, angepaßt sind. Messner konsolodiert, d.h er sichert und festigt, den Männlichkeitsmythos in zeitgemäßer Form neu.
Nur wenige Monate nach der sauerstofffreien Begehung des Everst mit Partner, besteigt Messner den Nanga Parbat im Alleingang. Der Bergsteiger hat sich gerade von seiner Frau Uschi getrennt, er fühlt sich unfähig und einsam, er hat Angst: die „schwarze“ Einsamkeit der Trennung frisst ihn auf. Er verachtet sich dafür, daß er ein „gequältes, zerissenes Wesen“ ist und wird von Weinkrämpfen geschüttelt, wenn er an Uschi denkt. Sein seelische Gleichgewicht ist verloren und er weiß, daß er in diesem Zustand die noch grösseren Einsamkeit beim Alleingang auf den 8000er nicht verkraften kann.
„Als ob ich nur etwas tun muss, um wieder stark und mutig zu sein.“
Um seine Handlunsgfähigkeit, die ihn als Bergsteiger auszeichnet, wieder herstellen zu können, muß er seine „weiblichen“ Anteile überwinden. „Ich will das Gefühl haben, stärker als meine Angst zu sein, deshalb begebe ich mich immer wieder in Situationen, in denen ich ihr begegne, um sie zu überwinden.“
„Ich konnte kaum noch. Keine Verzweiflung, kein Glück, keine Angst. […] Ich hatte die Herrschaft über meine Gefühle nicht verloren, es gab überhaupt keine Gefühle mehr. Ich bestand nur noch aus Willen.“
Erst aus der Überwindung der Angst und dem Bewußtsein der eigenen Handlungsfähigkeit bezieht Messner ein „starkes Identitätsgefühl“. Messner nutzt letztlich die anima-Seite zur Erweiterung des eigenen Geschlechts, ohne dadurch die traditionelle Konzeption von Männlichkeit in Frage zu stellen. Männer müssen demnach beweisen, dass sie über Macht und Kontrolle verfügen: Macht über ihre Gefühle und Ängste, sowie Macht über das Außen. Mit jeder vollbrachten alpinistischen Höchstleistung gelingt es Messner, sich als Mann zu beweisen.
Hier sei ein Exkurs in die Messnerschen Beziehungskisten erlaubt: In „Nanga Parat“ berichtet Messner ausführlich von der Trennung von seiner Frau Uschi, vom Verlust der großen Liebe. Doch als weiblichen Ersatz hat er diesmal Ursula Grether, eine Medizinstudentin, mit im Basisilager.Diese hält glücklicherweise in ihrem Tagebuch, die Gefühle fest, die sie während des Messnerschen Alleingangs hat, und fürchtet sich dabei unvermuteterweise mehr als Messner, der keine Zeit für Ängste hat, weil er zusehr damit beschäftigt ist, irgendwelchen Gefahren auszuweichen. Bei seinem Everest Alleingang kommt Nena Holguin, mit und vertraut ihre innersten Regungen wiederum ihrem veröffentlichungstauglichen Tagebuch an. Während der gute Messner gerade in eine Gletschersplate gefallen ist, versucht sie schreibend seinen Charakter zu analysieren: seine große Kraft, seine persönliche Stärke, die widersprüchlichen Charaktere, die dieses Rätsel Messner in sich vereinigt. Der Held kehrt nach der Reise ins Innere und Äußere schließlich erschöpft zurück in Basislager und bricht in ihren Armen zusammen. Hartes Bergsteigen gemischt mit einem Schuß Liebesleben- und leiden. Messner, der „grandiose Schauspieler“ (Peter Ustinov) weiß sein männliches krisengschütteltes Ich zu inszenieren und er braucht dabei einen Spiegel, nämlich die Frau.
Virginia Woolfs 1928 niedergeschriebene Feststellung scheint nichts an ihrer Aktualität verloren zu haben: „Frauen haben über Jahrhunderte hinweg als Spiegel gedient mit der magischen und köstlichen Kraft, das Bild des Mannes in doppelter Größe wiederzugeben.“
Die neue Semantik darf daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Bergsteiger nur dann ein solcher ist, wenn er alle Schwächen eliminiert und schließlich den Gipfel erreicht. Die Bedingung für das Hervorheben „weiblicher“ Anteile ist die männliche Tat und so endet die Messnersche Form der Selbstinfragestellung des Männlichen in der Inkorporation des Weiblichen. Reinhold Messner träumt auch von der Selbstgeburt, von der Transzendenz des Ichs ohne weiblichen Anteil:
„Leider ist ein Kind aus mir selbst heraus nicht denkbar, und ich möchte kein Kind von einer Frau, kein Kind das von zwei Menschen abhängt.“